Gewinnkonto? Thesaurierung? Im Insolvenzfall alles anfechtbare Darlehen!

27. Januar 2022

Wir haben schon mehrfach über die gegenüber Unternehmern zunehmend strenge Rechtsprechung zum Insolvenzrecht berichtet. Dies gilt vor allem für die Geschäftsführer, aber auch für die Gesellschafter. Heute geht es um letztere: Der Bundesgerichtshof hat in zwei Entscheidungen (Urteil vom 22.07.2021, IX ZR 195/20; Urteil vom 17.12.2020 IX ZR 122/19) seine gläubigerfreundliche Auslegung des § 135 InsO fortgesetzt und den Begriff der darlehensgleichen Forderung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgeweitet. 

Gemäß § 135 Abs. 1 InsO kann die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens oder einer dem Gesellschafterdarlehen gleichgestellten Forderung in der Insolvenz angefochten werden, selbst wenn die Zahlung nicht erfolgte, um die Gläubiger zu benachteiligen.   

1. Zunächst hat der Bundesgerichtshof im Dezember 2020 (Urteil vom 17.12.2020 IX ZR 122/19) entschieden, dass die Entnahme von Guthaben von einem Kapitalkonto des Kommanditisten wie die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens anfechtbar ist. 

Der Entscheidung zugrunde lag ein Fall, in dem für die Kommanditisten einer GmbH & Co KG – wie häufig – vier (buchhalterische) Konten geführt wurden: Ein festes Einlagekonto, ein Rücklagekonto, ein Gewinnrücklagen- und Verlustvortragskonto und ein variables Verrechnungskonto. Für das Rücklage- und für das Gewinnrücklagenkonto war eine Verrechnung mit Verlustanteilen im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vorgesehen. Auf dem variablen Privatkonto waren Gewinne und Entnahmen zu buchen. Eine Verlustverrechnung war hierfür nicht vorgesehen. Vom Privatkonto wurde acht Monate nach dem Gewinnverwendungsbeschluss eine Gewinnausschüttung bewirkt, die von einem entsprechenden Guthaben gedeckt war. Nachdem über das Vermögen der GmbH & Co KG ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, focht der Insolvenzverwalter diese Auszahlung mit Erfolg an. 

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs stellte die Zahlung die Rückführung einer einem Darlehen entsprechenden Forderung an einen Gesellschafter dar. Eine Gesellschafterforderung, die ab dem Gewinnverwendungsbeschluss mehr als drei Monate stehen gelassen und damit faktisch gestundet werde, sei grundsätzlich als darlehensgleich anzusehen. Die Ausschüttung sei dann die Rückgewähr einer Forderung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspreche. 

Mit dem Gewinnverwendungsbeschluss sei eine unentziehbare, schuldrechtliche Forderung entstanden. Dies sei regelmäßig dann der Fall, wenn eine spätere Verrechnung von Verlusten ausgeschlossen sei. Dies sei vorliegend der Fall. Eine Verlustverrechnung sei nur für das Rücklagen- und das Gewinnrücklagenkonto vorgesehen, wohingegen auf dem Privatkonto nur die entnahmefähigen Gewinnanteile gebucht würden. Hieran änderten auch bestehende Entnahmebeschränkungen nichts.  

Für die Einordnung des Privatkontoguthabens als schuldrechtliche Forderung gegen die Gesellschaft sprächen zudem die Bezeichnung des Kapitalkontos als „Privatkonto“, die gewinnunabhängige Verzinsung und der Ausweis in den Bilanzen als „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern“. Diese Forderung sei durch die Zahlung innerhalb der Frist des § 135 I Nr. 2 InsO befriedigt worden. 

2. In einer weiteren Entscheidung vom 22.07.2021 (Urteil vom 22.07.2021, IX ZR 195/20) hat der Bundesgerichtshof auch die Ausschüttung thesaurierter Gewinne der Anfechtung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterworfen. Dies ist - wenn man sich die gläubigerfreundliche Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs vergegenwärtigt - auch keineswegs überraschend.   

Im entschiedenen Fall jedenfalls waren die Gewinne einer GmbH für den Alleingesellschafter auf das nächste Jahr vorgetragen worden. Zwei Monate später beschloss die Gesellschaft, die vorgetragenen Gewinne teilweise auszuschütten. Im vier Monate später eröffnete Insolvenzverfahren nahm der Insolvenzverwalter den Gesellschafter gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Rückzahlung des ausgeschütteten Betrages in Anspruch. Der BGH hatte zu entscheiden, ob die Thesaurierung von Gewinnen der Gewährung eines Gesellschafterdarlehens gleichsteht und § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO in einem solchen Fall Anwendung findet. 

Der Bundesgerichtshof bejahte diese Frage mit der Begründung, dass die Thesaurierung wirtschaftlich mit der der Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens vergleichbar sei. Es könne keinen Unterschied machen, ob die Gewinne thesauriert oder ausgeschüttet und der Gesellschaft als Gesellschafterdarlehen wieder zur Verfügung gestellt würden. Auch wenn der thesaurierte Gewinn bilanziell kein Fremd-, sondern Eigenkapital darstelle, habe der Gewinnvortrag eine Finanzierungsfunktion, durch die der Gesellschaft Kapital und Liquidität zur Verfügung gestellt wird.  

Anders sieht die Sache beim erzwungenen Gewinnvortrag aus, beispielsweise im Rahmen des Ausschüttungsverbots gemäß §§ 30, 31 GmbHG. Hier mangelt es an der Finanzierungsfunktion; eine spätere Anfechtung ist ausgeschlossen. 

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Es zeigt sich also, dass der Bundesgerichtshof bestrebt ist, den Anwendungsbereich der Anfechtungsvorschriften in § 135 InsO auszuweiten. Als Faustregel gilt: Stellt ein Gesellschafter der Gesellschaft auf irgendeine Weise Kapital zur Verfügung, wobei beide Parteien davon ausgehen, dass es sich um eine vorübergehende und zurückzuzahlende Finanzierungsmaßnahme handelt, sollte von einer darlehensgleichen Kapitalgewährung im Sinne des § 135 InsO ausgegangen werden.  

Dies stellt zunächst ein erhebliches Risiko für die Gesellschafter dar. Regelmäßig sollten Gewinne ausgeschüttet werden, um diese dem möglichen Zugriff eines Insolvenzverwalters zu entziehen. Aber auch bereits die Gestaltung der zugrundeliegenden Gesellschaftsverträge und Gewinnverwendungsbeschlüsse sollten die oben genannten Grundsätze berücksichtigt werden. Hier ist Sorgfalt geboten, um böse Überraschungen zu vermeiden. 

Sprechen Sie uns gern an. SKALING berät Sie zu allen Fragen zu Insolvenz und Haftung. Fragen hierzu beantworten Johann Christoph Schaper und Dr. Christian Schultze.