Medizinrecht

Sozialversicherungspflichtige Homeoffice-Tätigkeit für eine Ärztehotline

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat die ausschließliche Homeoffice-Tätigkeit einer Ärztin für eine Beratungshotline als sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung beurteilt. Die Entscheidung kann auch für die Ausgestaltung telemedizinischer und sonstiger digitaler Geschäftsmodelle von praktischer Relevanz sein.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20.02.2023, L 2/12 BA 17/20

Sachverhalt

Die Klägerin zu 1) betreibt eine rund um die Uhr erreichbare Hotline, über die sie ärztliche Beratungsleistungen, insbesondere für Tauchunfälle, anbietet. Ihr Angebot umfasst neben den ärztlichen Beratungen auch ein Unterstützungspaket, das eine Auslandsreisekrankenversicherung, die Betreuung im Krankheitsfall, im Bedarfsfall die Organisation einer Krankenhausbehandlung und ggfs. den Rücktransport von Reisen umfasst. Für ihre Leistungen berechnete die Klägerin zu 1) ihren Kunden einen jährlichen Pauschalbetrag.

Für ihr Angebot griff die Klägerin zu 1) auf selbständige Ärzte mit tauchmedizinischer Erfahrung zurück. Diese sollten unabhängig von ihrem persönlichen Aufenthaltsort eine durchgehende Erreichbarkeit der Hotline sicherstellen und Anfragen von Kunden per Telefon und per E-Mail beantworten. Um eine 24-stündige Erreichbarkeit der Hotline sicherzustellen, erstellte die Klägerin zu 1) in Abstimmung mit ihren Kooperationsärzten Schichtpläne. Die Einteilung der Ärzte erfolgte durch die Klägerin zu 1) jeweils eine Woche im Voraus. Die kooperierenden Ärzte warn nicht dazu verpflichtet, überhaupt verfügbare Zeiten anzugeben oder in einem bestimmten Umfang am Angebot der Klägerin zu 1) mitzuwirken.

Die Ärzte sollten Anrufe von Kunden der Klägerin zu 1) mit deren Firmennamen unter Ergänzung ihres eigenen Namens annehmen und Beratungsgespräche im EDV-System der Klägerin zu 1) so dokumentieren, dass eine weitere Betreuung durch einen nachfolgenden Arzt gewährleistet werden konnte. Die Klägerin zu 1) stellte den teilnehmenden Ärzten ein Handbuch als fachliche Arbeitshilfe zur Verfügung und teilte für eventuelle Zweifelsfälle, für komplexe Fälle (ab NACA 3 bzw. NACA 5) und Fälle, die Kosten von mehr als 10.000,00 € verursachen könnten, einen „medizinischen Koordinator“ ein, an den sich die Ärzte wenden sollten.

Die Klägerin zu 2) ist Fachärztin für Anästhesiologie mit der Zusatzqualifikation im Bereich der Notfallmedizin und mit einer Weiterqualifikation auf dem Gebiet der Tauchmedizin. Sie war hauptberuflich als Oberärztin mit einer halben Stelle in einem Krankenhaus beschäftigt und nebenberuflich unter anderem im Rettungsdienst tätig.

Die Klägerin zu 2) nahm auf Grundlage einer mündlichen Vereinbarung am Hotlinedienst der Klägerin zu 1) teil und erhielt dafür von dieser ein Handy gestellt. Für die Teilnahme an Ärztetreffen und ärztlichen Besprechungen, die von der Klägerin zu 1) organisiert wurden, erhielt die Klägerin zu 2) ein gesondertes Honorar für Vorbereitung, Teilnahme und Referententätigkeit. Vereinzelt übernahm sie auch die „medizinische Koordination“ und erhielt hierfür einen festen Tagessatz. Für geleistete Bereitschaftsstunden erhielt die Klägerin zu 2) einen festen Stundenlohn von 5 Euro und einen Euro pro Minute tatsächlicher Beratungstätigkeit.

Auf den Statusfeststellungsantrag der Klägerin zu 2) stellte die Deutsche Rentenversicherung (Beklagte) fest, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen den beiden Klägerinnen bestehe und dieses sozialversicherungspflichtig sei.

Gegen diese Feststellung haben die Klägerinnen beim Sozialgericht Bremen Klage erhoben.

Verfahrensgang

Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben. Infolge der Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das LSG hat in den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Klägerin zu 2) im Sinne einer "funktionsgerecht dienenden Teilhabe" in den Arbeitsprozess der Klägerin zu 1) eingebunden gewesen sei. Das Angebot der Ärztehotline sei für die Klägerin zu 1) nur dadurch realisierbar gewesen, dass sie auf viele arbeitsteilig zusammenwirkende Ärzte, die auf der Grundlage von Schichtplänen in den Arbeitsprozess eingebunden gewesen seien, habe zurückgreifen können. Die teilnehmenden Ärzte hätten die Beratungs- und Koordinationsleistungen im Namen und Auftrag der Klägerin zu 1) erbracht und seien dafür von ihr fest vergütet worden.

Das Angebot der durchgängig erreichbaren Ärztehotline hätte nur durch die Verlässlichkeit der kooperierenden Ärzte aufrechterhalten werden können. Eine solche Verlässlichkeit habe die Klägerin zu 1) beim Einsatz der kooperieren Ärzte vorausgesetzt und dementsprechend erwartet, dass die Ärzte ihre Vorgaben im Hinblick auf wirtschaftliche Auswirkungen der medizinischen Entscheidungen beachten. Bezeichnenderweise sei die Einschaltung des medizinischen Koordinators unter anderem von den zu erwartenden Kosten eines Falles abhängig gewesen. Diese Aspekte hätten dafür gesprochen, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2) der funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess der Klägerin zu 1) gedient habe.

Dass die kooperierenden Ärzte in medizinischen Fragen frei und eigenverantwortlich hätten entscheiden können, sei unerheblich gewesen, da dies bei medizinischen Heilbehandlungen grundsätzlich der Fall sei. Aus dem Umstand, dass die Klägerin zu 2) nicht zur Übernahme der Bereitschaftsdienste verpflichtet werden konnte, könne ebenfalls nicht auf eine selbständige Tätigkeit geschlossen werden. Es komme in diesem Zusammenhang nicht auf die Rahmenvereinbarung an, sondern ausschließlich auf den jeweiligen Einzeleinsatz der Klägerin zu 2) für die Klägerin zu 1).

Auch die ausschließliche Tätigkeit der Klägerin zu 2) aus dem Homeoffice heraus und der Umstand, dass sie bezüglich ihres Tätigkeitsortes keinem Weisungsrecht unterlag, sei in Anbetracht der heutigen Möglichkeiten aus dem Homeoffice heraus zu arbeiten, kein taugliches Abgrenzungskriterium mehr. Auch hinsichtlich der Arbeitszeiten bestünde heutzutage bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen weitgehende Gestaltungsfreiheit durch die Tätigkeit aus dem Homeoffice heraus. Eine frei gestaltbare Arbeitszeit könne daher nur dann auf eine Selbstständigkeit hindeuten, wenn sie die Folge eines fehlenden Weisungsrechts sei und nicht nur aus der Übertragung größerer Eigenverantwortung auf den einzelnen Arbeitnehmer resultiere.

Letztendlich habe insbesondere der Umstand, dass die Klägerin zu 2) kein eigenes unternehmerisches Risiko getragen habe, gegen eine selbständige Tätigkeit gesprochen. Die Klägerin zu 2) habe für die übernommenen Bereitschaftsdienste eine feste Vergütung von der Klägerin zu 1) erhalten und keinen eigenen relevanten Kapitaleinsatz getätigt. Auf der anderen Seite wären auch keine unternehmerischen Chancen mit der Übernahme der Telefondienste verbunden gewesen, so dass im Ergebnis ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen den beiden Klägerinnen bestanden habe.

Praxishinweise

Die Entscheidung des LSG folgt den vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätzen zur Abgrenzung von selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung.

Die Entscheidung des LSG ist insbesondere für die Anbieter telemedizinscher Dienstleistungen bei der Ausgestaltung ihres Geschäftsmodells zu berücksichtigen. Es empfiehlt sich hier bereits im Vorfeld anwaltliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, da die Konsequenzen einer Fehleinschätzung in diesem Zusammenhang das gesamte Geschäftsmodell gefährden können.

Sprechen Sie uns bei Fragen gern jederzeit an.