Medizinrecht

Sozialversicherungspflicht von Bereitschaftsärzten in Reha-Kliniken

Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass ein Bereitschaftsarzt in einer Rehabilitationsklinik abhängig beschäftigt ist. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung ist eine selbstständige Tätigkeit von Bereitschaftsärzten in der stationären Versorgung nicht mehr möglich.

Bundessozialgericht, Urteil vom 04.06.2019 - B 12 R 2/18 R

Sachverhalt

In dem entschiedenen Fall hatten der Träger einer geriatrischen Rehabilitationsklinik und ein Facharzt für Allgemeinmedizin einen "Honorarvertrag über freie Mitarbeit" geschlossen. Nach den vertraglichen Regelungen erbrachte der Arzt Bereitschaftsdienste in der Rehabilitationsklinik zu einem festen Stundenlohn. Ihm und anderen Honorarärzten wurden jeweils zwei Monate im Voraus freie Termine für Wochenend-Bereitschaftsdienste übersandt. Nach Sammlung der hierauf eingehenden Mitteilungen wurde der Dienstplan erstellt. Die Anwesenheit von 17 Uhr bis 8 Uhr des Folgetages war seitens der Reha-Klinik vorgegeben.

Die Klinik stellte dem Arzt ein Dienstzimmer mit Telefon zu Verfügung, so dass er im Notfall telefonisch erreichbar war. Er entschied dann, ob direkter Patientenkontakt notwendig war. Während des Bereitschaftsdienstes war der Arzt der einzige anwesende Arzt in der Klinik. Er unterlag keiner Supervision und keinem Weisungsrecht von leitenden Ärzten, die Hintergrunddienst verrichteten. Das fachliche Letztentscheidungsrecht hatte der Arzt selbst. Ein eigenes Weisungsrecht gegenüber dem Klinikpersonal stand ihm nicht zu. Im Bedarfsfall zog er Pflegekräfte hinzu und erteilte medizinische Anordnungen. Zu Anweisungen organisatorischer oder personeller Art war er nicht befugt. Der Arzt war nicht in den alltäglichen Klinikdienst eingebunden. Er nahm nicht an Dienst- und Teambesprechungen oder Visiten teil und übernahm keine Aufnahmen, Entlassungen oder Routineuntersuchungen in der Klinik. Er verordnete keine Hilfsmittel und schrieb keine Arztbriefe. Er stellte nur die medizinische Notfallversorgung sicher.

Der Arzt hatte vertragsgemäß keinen Anspruch auf Krankenbezüge und Urlaub. Er unterlag keinen Urlaubsregelungen und war nicht zur Abstimmung seiner Urlaubsplanung verpflichtet. Außerdem bestand keine Verpflichtung zur Übernahme von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen oder zum Tragen von Dienstbekleidung der Klinik.

Der Arzt übernahm den Bereitschaftsdienst in manchen Monaten gar nicht, maximal jedoch an ein bis zwei Wochenenden pro Monat. Neben der honorarärztlichen Tätigkeit war der Arzt in Vollzeit in einer niedergelassenen Praxis angestellt.

Auf den Antrag des Arztes, den Status bezüglich seiner Tätigkeit in dem Klinikum festzustellen, stellte die Deutsche Rentenversicherung fest, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handele.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Klage des Krankenhausträgers.

Verfahrensgang

Die Klage war vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht erfolgreich.

Auf die Revision der Deutschen Rentenversicherung hat das BSG die Urteile aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das BSG hat hervorgehoben, dass zur Beurteilung der Frage, ob im sozialversicherungsrechtlichen Sinne eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt, für honorarärztliche Tätigkeiten keine besonderen Maßstäbe anzusetzen seien. Daher sei unerheblich, dass Honorararztverträge in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung als freie Dienstverhältnisse qualifiziert wurden. Der arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff sei nicht mit dem Beschäftigtenbegriff nach § 7 SGB IV identisch. Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1, Satz 1 SGB IV könne auch dann vorliegen, wenn kein Arbeitsverhältnis besteht.

Nach Gesamtwürdigung der vorliegenden Indizien sei die Tätigkeit des Arztes im Bereitschaftsdienst als abhängige Beschäftigung zu werten. Zwar sei die Tätigkeit des Arztes nicht mit der eines fest angestellten Krankenhausarztes vergleichbar, er sei aber dennoch in prägender Weise in die Organisations- und Weisungsstruktur der Rehabilitationsklinik eingebunden gewesen.

Für die Beurteilung sei auf die jeweiligen Einzeleinsätze des Arztes abzustellen, da die Dienste jeweils individuell vereinbart wurden. Erst durch die Zusage des Arztes sei eine rechtliche Verpflichtung entstanden, den zugesagten Dienst auch tatsächlich zu leisten.

Ungeachtet seines Letztentscheidungsrechts in medizinischen Fragen sei der Arzt organisatorisch, personell und sachlich vollständig in die von der Rehabilitationsklinik bereitgestellte Infrastruktur eingebunden gewesen. Da er ausschließlich im Bereitschaftsdienst an Wochenenden tätig gewesen sei, habe es für die Abgrenzung keinerlei Aussagekraft, dass er mit der Patientenversorgung im Übrigen nicht befasst gewesen sei. Das Weisungsrecht des Klinikums konnte aufs Stärkste eingeschränkt sein, ohne dass dies zur selbständigen Tätigkeit geführt hätte. Die Weisungsgebundenheit des Arztes sei zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert gewesen. Dies sei gerade darin zum Ausdruck gekommen, dass der Arzt während seines Dienstes sogar alleiniger Ansprechpartner der Patienten und des Klinikpersonals gewesen sei. Er habe die Notfallversorgung nicht anders als sonstige Krankenhausärzte erbracht. Er habe eine Anwesenheitspflicht in der Klinik gehabt und sich in einem durch die Klinik zur Verfügung gestellten Zimmer aufgehalten. Er hätte jederzeit erreichbar sein müssen und habe so die von der Klinik geschuldete Versorgung im Bedarfsfalle innerhalb der für den Bereitschaftsdienst vorgegebenen Organisationsabläufe zu erbringen und zu steuern gehabt. Dabei habe er die Infrastruktur der Klinik genutzt und mit dem übrigen Personal arbeitsteilig zusammengearbeitet.

Es gäbe keine Anhaltspunkte, die die Weisungsgebundenheit und Eingliederung des beigeladenen Arztes hätten auf- oder überwiegen können. Insbesondere sei der Arzt keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt gewesen. Für die Abgrenzung von Beschäftigung und Selbständigkeit sei es auch nicht von Bedeutung, ob die honorarärztliche Tätigkeit als Haupterwerbsquelle oder im Nebenerwerb ausgeübt werde und ob es sich um seltene Arbeitseinsätze oder um eine verstetigte Geschäftsbeziehung handele.

Zwar könne eine Tätigkeit für andere Auftraggeber ein Indiz für eine erhebliche Dispositionsfreiheit in Bezug auf die zu beurteilende Tätigkeit sein, weil dann die zeitliche Verfügbarkeit des Auftragnehmers erheblich eingeschränkt sei. Eine gewisse Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers komme aber nicht entscheidend zum Tragen, wenn für die Beurteilung auf den jeweiligen Einzeleinsatz abgestellt werde.

Zudem stellte das BSG fest, dass auch die Höhe des vereinbarten Honorars nur eines von vielen Indizien sei, dem im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung zukam. An dem gefundenen Ergebnis würde sich auch nichts durch einen etwaigen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ändern und letztendlich würden keine Grundrechte der Beteiligten durch die Beurteilung als abhängige Beschäftigung verletzt.

Weitere Informationen zu Honorararztmodellen und zur Sozialversicherungspflicht bei Heilberufen finden Sie hier.