In der Vergangenheit erfreuten sich Honorararztmodelle sowohl in Krankenhäusern als auch bei niedergelassenen Ärzten großer Beliebtheit. Honorarärzte (teilweise auch als Konsiliarärzte oder Kooperationsärzte bezeichnet) werden nach wie vor als Urlaubsvertreter oder in Zeiten erheblicher Arbeitsbelastung als freie Mitarbeiter eingesetzt, um die Folgen eines dauerhaften Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.
Allerdings ist der Einsatz von Honorarärzten durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung in den letzten Jahren zunehmend erschwert worden. Die Rechtsprechung tendiert dazu, viele der praktizierten Modelle als Fälle von abhängiger Beschäftigung bzw. "Scheinselbständigkeit" zu bewerten. Die jüngst ergangenen Entscheidungen betreffen nicht nur Ärzte, sondern auch weitere Heilberufe.
Es darf an dieser Stelle bezweifelt werden, dass diese Rechtsprechung zu einer qualitativ hochwertigen und flächendeckenden Versorgung von Patienten beiträgt, wenn hierdurch Kooperationen zwischen Leistungserbringern beendet werden.
Ausgangspunkt der verschiedenen Urteile sind die Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04.06.2019 und 07.06.2019 zur Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten im Krankenhaus und zur Sozialversicherungspflicht von Honorar-Pflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen.
Maßgebliche Kriterien
Für die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung ist das Gesamtbild entscheidend. Es kommt darauf an, welche Merkmale im Einzelfall überwiegen, wobei die tatsächlich gelebte Praxis ausschlaggebend ist. Der bloße Wille der Vertragsparteien und formelle Vereinbarungen treten demgegenüber in den Hintergrund. Bei Rahmenverträgen sind die Umstände der einzelnen Arbeitseinsätze zu bewerten. Für die Beurteilung sind sämtliche Indizien des Falles festzustellen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen.
Für eine abhängige Beschäftigung sprechen unter anderem:
Regulatorische Vorgaben,
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, arbeitsteiliges Zusammenwirken mit anderen Mitarbeitern des Weisungsgebers,
Tätigkeit nach Weisung hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer und Art der Ausführung (wobei die Weisungsgebundenheit bei Diensten höherer Art erheblich eingeschränkt sein kann, ohne zu entfallen),
Nutzung von Betriebsmitteln des Weisungsgebers.
Für eine selbständige Tätigkeit sprechen unter anderem:
Eigenes Unternehmerrisiko,
Eigene Weisungsbefugnis,
Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte,
Möglichkeit, über die eigene Arbeitskraft zu verfügen,
Frei gestaltbare Tätigkeit und Arbeitszeit,
Höhe des vereinbarten Honorars.
Für die Bewertung unerheblich sind:
Wille der Vertragsparteien,
Arbeitsrechtliche Bewertung der Tätigkeit,
Allgemeine Verkehrsanschauung.
Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen, wenn eine gewollte selbständige Tätigkeit als abhängige Beschäftigung beurteilt wird, sind für den Weisungsgeber (Einrichtungsträger bzw. Praxisinhaber) von erheblicher wirtschaftlicher und rechtlicher Bedeutung:
Sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen
Der Weisungsgeber ist verpflichtet, nachträglich Sozialversicherungsbeiträge (Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung) und zwar den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren sowie Säumniszuschläge zu entrichten. Wenn dem Weisungsgeber vorsätzliches Handeln nachgewiesen werden kann, erstreckt sich der Zeitraum sogar auf bis zu 30 Jahre (§ 25 Abs. 1 SGB IV).
Arbeitsrechtliche Konsequenzen
Das Beschäftigungsverhältnis wird als sogenanntes faktisches Arbeitsverhältnis angesehen. Dies hat zur Folge, dass die Vorschriften des Arbeitsrechts anzuwenden sind und der Arbeitnehmer z.B. Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub und ggfs. Mutterschutz und Elternzeit hat. Darüber hinaus stehen ihm Kündigungsschutzrechte zu. Er kann sich ggfs. auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen berufen.
Der Arbeitgeber sollte prüfen, ob er einen Rückzahlungsanspruch gegen den Arbeitnehmer wegen des Arbeitnehmeranteils der zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge geltend machen kann. Ein solcher Rückzahlungsanspruch kann nach § 28g SGB IV nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden und darf nur bei den drei nächsten Gehaltszahlungen nachgeholt werden. Wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist, scheidet ein Erstattungsanspruch aus.
Zusätzlich kann der Arbeitgeber eventuell überzahltes Honorar vom Arbeitnehmer zurückfordern, weil in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet worden wäre (BAG, Urteil vom 26.06.2019 - 5 AZR 178/18).
Steuerrechtliche Konsequenzen
Neben der Pflicht zur nachträglichen Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen hat der Arbeitgeber rückwirkend Lohnsteuer nachzuzahlen. Auch insofern kommt ein Erstattungsanspruch gegen den Arbeitnehmer in Betracht. Die vom faktischen Arbeitnehmer bereits entrichtete Einkommenssteuer wird auf die Lohnsteuer angerechnet.
Darüber hinaus besteht das Risiko, dass eine Praxis als gewerblich qualifiziert wird und eine Gewerbesteuerpflicht entsteht.
Vertragsarztrechtliche Konsequenzen
Vertragsärztlichen Berufsausübungsgemeinschaften drohen weitergehende Konsequenzen, wenn ein beteiligter Arzt tatsächlich nicht in "freier Praxis" tätig ist. Die KV kann in einem solchen Fall die Honorarbescheide sachlich-rechnerisch richtigstellen und gezahlte Honorare zurückfordern (BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R). Schlimmstenfalls besteht das Risiko eines Entzugs der vertragsärztlichen Zulassung (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.09.2022 - L 7 KA 4/20).
Strafrechtliche Konsequenzen
Letztendlich drohen sogar strafrechtliche Konsequenzen wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) und bei vorsätzlichem Handeln kommt eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO in Betracht. Bei juristischen Personen treffen strafrechtliche Konsequenzen die Geschäftsführer persönlich.
Praxishinweise
Um die erheblichen Rechtsfolgen einer möglichen "Scheinselbständigkeit" zu vermeiden, sollten die vertraglichen Regelungen und die geplante Umsetzung in der Praxis vorab rechtlich überprüft werden. Zudem kann ein Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund eingeleitet werden. Sofern bereits Vertragsverhältnisse bestehen, die als abhängige Beschäftigung qualifiziert werden können, ist zu prüfen, wie mit diesen Verträgen umgegangen werden sollte. Ob diese modifiziert oder sogar beendet werden müssen, ist im Einzelfall zu entscheiden.
Für Ihre Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gern jederzeit zur Verfügung.
Rechtsprechungsübersicht
Im Folgenden geben wir Ihnen einen Überblick über die wesentliche Rechtsprechung zur sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit von Heilberufen: