Medizinrecht

Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten in der Arztpraxis

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat die Tätigkeit eines Honorararztes in einer privatärztlichen Zahnarztpraxis als unselbständige Beschäftigung bewertet.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 13.08.2021 - L 4 BA 328/19

Sachverhalt

In dem Verfahren hatte ein Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit dem Inhaber einer privatärztlichen Zahnarztpraxis einen Vertrag über die freie Mitarbeit in der Zahnarztpraxis geschlossen. Der Vertrag sah im Wesentlichen vor, dass der Zahnarzt etwa zwei Tage pro Monat als selbständiger Zahnarzt für die Praxis tätig werden sollte. Sein Aufgabenbereich sollte die Planung und Durchführung von Behandlungen sowie weitere zahnärztliche Tätigkeiten nach Absprache umfassen. Der Zahnarzt sollte dabei keinem Weisungsrecht unterliegen und bei der Ausübung seiner Tätigkeit örtlich, zeitlich und hinsichtlich der Art und Weise der Behandlungen nicht gebunden sein. Ein Arbeitsverhältnis sollte nicht begründet werden. Dementsprechend waren Urlaubsansprüche vertraglich ausgeschlossen.

Für den Zahnarzt bestand die Verpflichtung, die Behandlungen persönlich auszuführen und eine Erkrankung oder sonstige Verhinderung schnellstmöglich mitzuteilen. Er sollte die Tage, an denen er in der Praxis behandeln wollte, zwei Monate im Voraus abstimmen. Die an den Tagen von der Praxis vorgesehenen Behandlungen sollten von dem Zahnarzt spätestens 14 Tage vor der geplanten Behandlung geprüft und akzeptiert oder verworfen werden. Er war nicht verpflichtet, Aufträge anzunehmen. Wenn er Aufträge annahm, sollte die tatsächliche Behandlung von ihm in der konkreten Behandlungssituation nach Absprache mit den Patienten festgelegt werden.

Terminvereinbarungen erfolgten über einen von der Praxis bereitgestellten online-Terminkalender, so dass der Zahnarzt Termine nach eigenem Belieben vereinbaren konnte, wobei die Belange der Praxis berücksichtigt werden sollten.

Die Raumbelegung stand in der Verantwortung des Zahnarztes. Er war zudem befugt, die Mitarbeiter der Praxis nach seinem Ermessen einzusetzen. Dabei war er verpflichtet, die gesetzlichen Bestimmungen zu Arbeitszeit und Arbeitsschutz zu überwachen und durchzusetzen. Er war zudem berechtigt, weitere Mitarbeiter auf eigene Rechnung zu beschäftigen und Leistungen an solche Mitarbeiter zu delegieren.

Sämtliche Arbeitsmittel und Arbeitskleidung sollte der Zahnarzt auf eigene Kosten stellen. Die Arbeitskleidung sollte kenntlich machen, dass er kein fester Mitarbeiter der Praxis war.

Für die Tätigkeit erhielt der Zahnarzt ein Honorar in Höhe von 50 Prozent der von ihm erzielten Umsätze, wobei das Honorar die von ihm erwirtschafteten Einnahmen abzüglich der ihm zurechenbaren Kosten nicht überschreiten sollte. Es war beabsichtigt, den Zahnarzt auf diese Weise an den Betriebskosten der Praxis zu beteiligen. Der Forderungseinzug sollte durch die Praxis erfolgen, das Risiko dafür, dass Forderungen nicht eingezogen werden können, sollte der Zahnarzt selbst tragen.

Im Übrigen sollte es dem Zahnarzt auch möglich sein, für andere Auftraggeber tätig zu werden. Durch Tätigkeiten für andere Auftraggeber sollte die Tätigkeit für die Praxis aber nicht beeinträchtigt werden.

Neben seiner Tätigkeit für die Praxis war der Zahnarzt in Vollzeit in einer anderen Zahnarztpraxis angestellt und erzielte weitere Einkünfte aus einem Minijob bei einer dritten Zahnarztpraxis.

Der Zahnarzt und der Inhaber der Zahnarztpraxis beantragten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung festzustellen, dass es sich um eine selbständige Tätigkeit handelt. Die Deutsche Rentenversicherung stellte fest, dass eine abhängige Beschäftigung des Zahnarztes vorlag.

Gegen diese Feststellung richteten sich die Klagen des Zahnarztes und des Praxisinhabers.

Verfahrensgang

Das Sozialgericht hat die Klagen abgewiesen.

Das Landessozialgericht hat die gegen diese Entscheidung gerichteten Berufungen zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das LSG hat in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Einsatz von Honorarärzten im Krankenhaus verwiesen.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine selbständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung vorliegt, sei nicht auf die Rahmenvereinbarung zwischen den beiden Klägern abzustellen, sondern auf die jeweiligen Einzeldienste des Zahnarztes.

Hierbei sei der Zahnarzt bei seiner Tätigkeit in der Zahnarztpraxis weisungsgebunden und in den Betrieb der Praxis eingegliedert gewesen. Die vertraglich vereinbarte Weisungsfreiheit habe dem nicht entgegengestanden.

Maßgeblich war, dass der Zahnarzt im Rahmen seiner Tätigkeit ausschließlich Patienten der Praxis behandelt habe und Behandlungsverträge nur zwischen den Patienten und der Praxis zustande gekommen seien.

Für die Behandlung der Patienten habe er die Behandlungsräume der Praxis und die dort vorhandene Ausstattung genutzt. Die organisatorische Eingliederung des Zahnarztes in den Betriebsablauf der Praxis habe sich gerade darin gezeigt, dass er nicht über ein eigenes Praxiszimmer verfügt habe, welchen er jederzeit und ohne Abstimmung mit anderen Mitarbeitern der Praxis nutzen konnte. Stattdessen habe er geplante Behandlungen von der Praxis bestätigen lassen müssen, damit sichergestellt war, dass ein Behandlungsraum verfügbar sein würde. Weiterhin sei die EDV-Ausstattung, insbesondere der online-Terminkalender und Praxissoftware von der Praxis gestellt worden.

Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken des Zahnarztes mit den Mitarbeitern der Praxis habe sich dadurch gezeigt, dass ihm die Mitarbeiter regelmäßig assistierten und dabei nicht nur seinen fachlichen Weisungen unterlagen, sondern er auch für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu Arbeitszeit und Arbeitsschutz verantwortlich war. Letztendlich sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Zahnarzt vertraglich dazu verpflichtet war, die Interessen der Praxis zu wahren, indem er die organisatorischen, sächlichen und personellen Strukturen der Praxis als maßgeblich anerkannte.

Als weiteres Indiz gegen eine selbständige Tätigkeit des Zahnarztes habe gesprochen, dass dieser kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen habe. Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko sei, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werde. Ein echtes Unternehmerrisiko liege erst dann vor, wenn bei Arbeitsmangel nicht nur kein Einkommen oder Entgelt aus Arbeit erzielt werde, sondern zusätzlich auch Kosten für betriebliche Investitionen oder Arbeitnehmer anfallen oder früher getätigte Investitionen brachliegen würden. Der Zahnarzt habe jedoch nur eigene Arbeitskleidung, seine eigenen Operationsbestecke sowie seine Lupenbrille, Osteosyntheseschrauben und Schraubendreher mitgebracht. Investitionen in diese Materialien hätten jedoch nicht brachgelegen, da er diese Arbeitsmittel auch in den anderen Zahnarztpraxen, in denen er tätig war, einsetzen konnte.

Auch aus dem Umstand, dass der Zahnarzt kein Honorar erhielt, wenn keine Zahlung von den Privatpatienten an die Praxis erfolgte, ließe sich kein echtes Unternehmerrisiko ableiten. Zwar handele es sich um eine für eine abhängige Beschäftigung untypische Vereinbarung, aber mit einem solchen Risiko wäre kein echtes Verlustrisiko verbunden, weil keine zusätzlichen Kosten für brachliegende betriebliche Investitionen entstehen würden.

Für eine selbständige Tätigkeit habe der Umstand gesprochen, dass der Zahnarzt seine Behandlungstermine in zeitlicher Hinsicht sowie die Behandlungsmethode in Absprache mit den Patienten im Wesentlichen selbst frei bestimmen konnte. Die von den Vertragsparteien explizit getroffene Abrede, dass es sich nicht um eine abhängige Beschäftigung handeln sollte, sei in Anbetracht der tatsächlich gelebten Verhältnisse unerheblich. Der Ausschluss von Urlaubsansprüchen und Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall seien ebenfalls unerheblich, weil dieser vertragliche Ausschluss nur konsequent sei, wenn eine selbständige Tätigkeit gewollt sei.

In der Gesamtabwägung würden die für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Aspekte die Indizien für eine abhängige Beschäftigung nicht aufwiegen, so dass die Klagen abzuweisen waren.

Weitere Informationen zu Honorararztmodellen und zur Sozialversicherungspflicht bei Heilberufen finden Sie hier.