Medizinrecht

Sozialversicherungspflicht von Honorar-Pflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen

Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, dass die Tätigkeit von Honorar-Pflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen regelmäßig in Form einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird und damit der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung ist eine selbstständige Tätigkeit von Honorar-Pflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen nicht mehr möglich.

Bundessozialgericht, Urteil vom 07.06.2019 - B 12 R 6/18 R

Eine Umgehung der Sozialversicherungspflicht durch das Zwischenschalten einer Ein-Personen-Gesellschaft ist nach einer neueren Entscheidung des BSG nicht möglich.

Sachverhalt

In dem Fall hatte die Trägerin einer stationären Pflegeeinrichtung gegen eine Statusfeststellung der Deutschen Rentenversicherung geklagt, der zufolge die Tätigkeit als Honorar-Pflegefachkraft im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei.

Die Klägerin setzte in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmer und Honorarkräfte in ihrer Pflegeeinrichtung ein. Durch Vermittlung einer Agentur schlossen die Klägerin und ein staatlich anerkannter Altenpfleger einen Dienstleistungsvertrag. Dieser verpflichtete den Altenpfleger dazu, die von der Klägerin erteilten Aufträge in eigener Verantwortung auszuüben und die Interessen der Klägerin zu berücksichtigen. Der Altenpfleger wurde in der Vereinbarung als "freier Mitarbeiter" bezeichnet. Es war ein fester Stundenlohn und eine Arbeitszeit von täglich mindestens zehn Stunden bei möglicher Mehrarbeit vereinbart. Die Klägerin war verpflichtet, freie Unterkunft und Verpflegung zu gewähren und sich nach Absprache um Arbeitskleidung zu kümmern. Für den Fall, dass der Vertrag keine anderen Bestimmungen enthält, wurde die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen und der "allgemeinen Grundsätze des Arbeitsrechts" vereinbart.

Die Deutsche Rentenversicherung stellte auf Antrag des Altenpflegers fest, dass er seine Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt.

Gegen diese Feststellung richtete sich die Klage der Trägerin der Pflegeeinrichtung.

Verfahrensgang

Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben.

Auf die Berufung der Deutschen Rentenversicherung hat das Landessozialgericht den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung hat die Trägerin der Pflegeeinrichtung Revision eingelegt.

Das Bundessozialgericht hat die Revision zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das BSG hat zunächst klargestellt, dass die vertragliche Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Altenpfleger widersprüchliche Angaben enthielt. Ohnehin sei weder der Wille der Parteien, noch die Auslegung der vertraglichen Bestimmungen ausschlaggebend für die Beurteilung der Frage, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliege, sondern die tatsächliche Umsetzung der Vereinbarung in der Praxis.

Bei der Gewichtung der Indizien, sei zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit von Pflegefachkräften in stationären Pflegeeinrichtungen grundsätzlich Besonderheiten aufweise. Pflegefachkräfte würden weitgehend eigenverantwortlich arbeiten. Im Rahmen ihrer Tätigkeit müssten sie in gewissem Umfang flexibel auf Wünsche und Bedürfnisse der zu pflegenden Person eingehen. Aus diesen Umständen könne jedoch nicht ohne weiteres auf eine selbständige Tätigkeit geschlossen werden.

Genauso wenig könne allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln des Pflegeheims auf eine abhängige Beschäftigung geschlossen werden.

Auch regulatorische Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung, Regelungen des SGB XI und dem jeweiligen Heimrecht des Landes, kämen keine zwingende und bestimmende Wirkung für die sozialversicherungsrechtliche Bewertung zu. Allerdings seien regulatorische Vorgaben bei der Gewichtung der Indizien zur Statusbeurteilung zu berücksichtigen.

In dem entschiedenen Fall sei zu berücksichtigen, dass die Zulassung einer stationären Pflegeeinrichtung durch Abschluss eines Versorgungsvertrages, der den Versorgungsauftrag konkret bestimmt (§§ 72,73 SGB XI), erfolge. Die Pflege müsse unter ständiger Verantwortung einer qualifizierten Pflegefachkraft stehen, welche die Gesamtverantwortung für die pflegerische Versorgung trage. Dies sei dann gegeben, wenn die Pflegefachkraft die Leistungen für die Pflegebedürftigen in Grundzügen selbst festlegen könne, ihre Durchführung organisiere und die Umsetzung angemessen kontrolliere. Die Steuerung, Anleitung, Koordination und Kontrolle der Pflegeleistungen sei notwendig, das Gesetz setze einen hohen Organisationsgrad zur Qualitätssicherung voraus. Auch das Heimrecht mache für den Betrieb einer stationären Einrichtung strenge Vorgaben zur Kontrolle und Verantwortlichkeit des Betreibers für Struktur-, Prozess-und Ergebnisqualität. Diese regulatorischen Anforderungen hätten im Regelfall die Eingliederung von Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur von stationären Pflegeeinrichtungen zur Folge.

Nach diesen Grundsätzen habe der Altenpfleger dem Weisungsrecht der Klägerin unterlegen und sei in den Betriebsablauf des Pflegeheims eingegliedert gewesen.

Zwar sei die Weisungsgebundenheit des Altenpflegers bei der Durchführung der jeweiligen Dienste erheblich eingeschränkt gewesen, sie sei jedoch nicht vollständig entfallen. Sie sei „zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert gewesen, da er für seine Tätigkeiten in einem bestimmten Wohnbereich eingeteilt war und seine Dienste im wesentlichen nach Maßgabe der Pflegeplanung und im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Mitarbeitern der Klägerin erbringen musste.

Die gesamten organisatorischen Maßnahmen, vom Erstkontakt mit den zu pflegenden Personen über die arbeitsteilige Pflege und Betreuung bis hin zur Abrechnung der erbrachten Leistungen, seien von der Klägerin erbracht und von dieser vorgegeben worden. Der Betriebsablauf sei einem Dienstplan der Klägerin gefolgt, in welchen sich der Altenpfleger eingeordnet habe. Die Überwachung sei durch eine hierfür verantwortliche Pflegekraft seitens der Klägerin erfolgt. Innerhalb dieses organisatorischen Rahmens habe der Altenpfleger seine Dienste erbracht. Arbeits- und Verbrauchsmittel seien ebenfalls von der Klägerin gestellt worden. Er habe gegenüber anderen bei der Klägerin beschäftigten Pflegefachkräfte keine ins Gewicht fallende Freiheit hinsichtlich der Gestaltung seiner Leistungen gehabt. Zwar habe der Altenpfleger sich die zu pflegenden Personen aussuchen können, sein Auswahlrecht sei jedoch auf die im Pflegeheim versorgten Personen beschränkt gewesen. Zudem habe er sich nicht dahingehend entscheiden können, überhaupt keine pflegebedürftigen Personen bei der Klägerin zu versorgen.

Gegen eine selbständige Tätigkeit des Altenpflegers habe zudem gesprochen, dass er kein nennenswertes Unternehmerrisiko getragen habe. Er habe einen festen Lohn für geleistete Stunden erhalten und war insofern keinem Verlustrisiko ausgesetzt. Gleichzeitig habe er auch keine Chance gehabt, durch unternehmerisches Geschick den Ertrag für seine Arbeit zu steigern.

Ein anderes Ergebnis könne auch nicht deshalb angenommen werden, weil der Altenpfleger für mehrere Auftraggeber tätig war. Für die Abgrenzung sei es auch unerheblich, ob die Tätigkeit als Haupterwerbsquelle oder im Nebenerwerb ausgeübt wurde.

Zudem stellte das BSG noch fest, dass auch die Höhe des vereinbarten Honorars nur eines von vielen Indizien sei, welchem im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung zukam. An dem gefundenen Ergebnis würde sich auch nichts durch einen etwaigen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ändern und letztendlich würden keine Grundrechte der Beteiligten durch die Beurteilung als abhängige Beschäftigung verletzt.

Weitere Informationen zu Honorararztmodellen und zur Sozialversicherungspflicht bei Heilberufen finden Sie hier.